Der Bund vom 06. April 2019 zur kommenden Abstimmung am 19. Mai in Bern. (Fotoquelle Der Bund)

 

Die Angst vor dem riesigen Loch

06. April 2019, Bern / Wer in seinen Fünfzigern arbeitslos wird, läuft Gefahr, sozial sehr tief zu fallen. Der Volksvorschlag will das verhindern. Doch es gibt Einwände.

«Das ist das Schlimmste am hochgelobten Sozialsystem der Schweiz – dieses riesige Loch, das sich öffnen kann.» Daniel G. Neugart, Geschäftsführer des Schweizerischen Arbeitnehmerverbandes 50Plus (SAVE 50Plus Schweiz), spricht von älteren Personen, die sozial tief fallen können – wenn sie nach zwei Jahren ohne Arbeit kein Arbeitslosengeld mehr erhalten, also ausgesteuert werden.

«Dann steht man vor einem Abgrund und kämpft mit existenziellen Ängsten», sagt Neugart. Betroffene müssen ihr Erspartes, mit dem sie sich den Lebensabend versüssen wollten, nahezu aufbrauchen. Erst dann haben sie Anspruch auf Sozialhilfe. Viele seien gezwungen, das Haus oder die Wohnung zu verkaufen. Diese bittere Erfahrung machten in der Schweiz jedes Jahr Tausende, sagt er. «Frauen und Männer, die immer alles richtig gemacht haben, stehen plötzlich vor dem Nichts.»


Schutz vor Altersarmut

Im Kanton Bern soll das künftig nicht mehr möglich sein. Ein «respektvoller Umgang» mit über 55-jährigen Arbeitslosen: Das ist eine Kernforderung im Volksvorschlag des Komitees «Wirksame Sozialhilfe», über den am 19. Mai abgestimmt wird. Er stellt eine Alternative zum Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe dar, über das gleichentags abgestimmt wird. Die Idee orientiert sich an einem Konzept der Schweizerischen Konferenz der Sozialhilfe (Skos): Ältere Arbeitslose, die mindestens zwanzig Jahre gearbeitet haben, sollen nicht mehr ausgesteuert werden, sondern weiterhin Arbeitslosengeld erhalten, allerdings deutlich weniger als während der ersten zwei Jahre. Das neue Niveau läge auf der Höhe von Ergänzungsleistungen – und damit deutlich über der Sozialhilfe. Die Differenz betrüge mehrere Hundert Franken. Auf diese Weise würden ältere Arbeitslose würdig behandelt und vor Altersarmut geschützt, argumentiert das Komitee. In der Tat: Für arbeitslose Personen über 55 ist es besonders schwierig, eine neue Stelle zu finden. Sie werden häufiger ausgesteuert als Jüngere. Zudem ist in den letzten Jahren die Zahl der über 55-Jährigen in der Sozialhilfe beträchtlich angestiegen. Die Skos spricht von einem «wachsenden und ungelösten sozialen Problem».


Nachteile für andere

Für Gesundheits- und Fürsorgedirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) ist der Vorschlag aber eine Fehlkonstruktion – ganz abgesehen davon, dass er Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe erzeuge. Es würden nur Arbeitnehmer profitieren, nicht aber arbeitslose Gewerbler, Freischaffende und Landwirte, sagte er in einem Interview mit dem «Bund». Ausserdem fragt sich Schnegg, ob diese Leute sich immer noch gleich stark um Stellen bemühten, wenn sie von Ergänzungsleistungen profitieren könnten. Und ob sie nicht gerade deshalb schneller entlassen würden, weil Kündigungen besser wären. Auch Daniel Neugart hat Einwände. Er findet den Vorschlag «grundsätzlich» gut, aber er sei noch nicht zu Ende gedacht. Es dürfe nicht sein, dass jemand durch die Ergänzungsleistungen etwas erhalte, ohne dafür etwas geben zu müssen, «das wäre ein falscher Anreiz», sagt er. Betroffene sollten «sinnvolle Leistungen erbringen, die ihren Kompetenzen entsprechen», damit sie ihren Anspruch geltend machen könnten. Denn, so Neugart: «Von niemandem gebraucht zu werden und bloss ein Gnadenbrot zu erhalten: Für die meisten Menschen gibt es nichts Entwürdigenderes.»

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